‘Kaste’ evoziert Indien – besser an die USA denken!
- Beat Ammann
- Apr 24
- 3 min read
Updated: 6 days ago
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Die Erfindung von ‘Rasse’
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Wer durch Manhattan schlendert, die Hochhäuser bestaunt und darin Wohlstand und Macht gespiegelt sieht, sollte daran denken, dass New York in früheren Zeiten enorm von der Sklaverei im Süden profitiert hatte. Nicht nur war der Ort einst Landestelle und Handelsplatz für den Import von Sklaven und deren Verkauf, sondern New York gedieh zu einem der wichtigsten Dienstleistungszentren für die Sklavenwirtschaft der Südstaaten. Diesen fehlte es nicht nur an Häfen für den Export von Baumwolle nach England, sondern auch an Kapital und Knowhow, das für internationalen Handel erforderlich war. New Yorker Banken, Versicherungen, Händler und Reedereien übernahmen die von kleineren Schiffen hergebrachte Ware und wickelten Hochsee-Transport und Weiterverkauf nach Liverpool ab.
![New York and its slavery past [Image generated by AI model Gemini]](https://static.wixstatic.com/media/c0faae_83243707064c4e75a40d947d0fbe78b0~mv2.jpg/v1/fill/w_147,h_147,al_c,q_80,usm_0.66_1.00_0.01,blur_2,enc_avif,quality_auto/c0faae_83243707064c4e75a40d947d0fbe78b0~mv2.jpg)
Auf diese Weise häufte die junge Republik enormes Kapital an, das zur Industrialisierung und zur Erschliessung der Weiten Nordamerikas wesentlich beitrug. Baumwolle war lange das mit Abstand wichtigste Exportgut. Ein Vierteljahrtausend Sklaverei (246 Jahre, von 1619 bis 1865) ist das Fundament, auf dem die USA heranwuchsen. Vielleicht erklärt dies, warum fast alle Sklaven und deren Nachfahren bis heute amerikanischem Patriotismus genauso huldigen wie die Weissen, ihre Peiniger.
Die damals auch von Präsident Lincoln unterstützte Idee, die Schwarzen – Sklaven wie Freie – ‘zurück nach Afrika’ zu schicken, stiess auf keinerlei Resonanz. Die nach Amerika zwangsverfrachteten und während zweieinhalb Jahrhunderten aufs Blut ausgebeuteten Schwarzen sahen sich bald als Amerikaner – eine Haltung, die von den Weissen als Frechheit, Beleidigung und Irrsinn empfunden und mit gewohnt christlicher Brutalität bekämpft wurde.
Die Schwarzen hingegen wissen genau, wie unermesslich ihr Beitrag zum Aufstieg dieses Landes war, ein Beitrag, der kaum je offiziell anerkannt wird. Daher kann man New York beliebig oft besuchen und wird kaum je darauf gestossen, welche Rolle die Sklaverei in der Geschichte der Stadt spielte.
Ein gewisser Immobilienhändler aus New York tat sich vor nicht allzu langer Zeit damit hervor, dass er behauptete, der damalige Präsident, Barack Obama, sei kein Amerikaner und damit illegitimer Bewohner des Weissen Hauses. Weisse mögen darin einen vom Zaun gebrochenen Konflikt um eine Geburtsurkunde gesehen haben, für Schwarze hingegen war die Botschaft klar: Schwarze können keine Amerikaner sein – per Definition der Weissen. Sie sollten verschwinden von hier, zurück nach Afrika. Das war immer schon so...
Jener Immobilienhändler trompetete sich mit seiner MAGA-Botschaft selbst ins Weisse Haus. Ahnungslose Weisse mögen tatsächlich ‘Make America Great Again’ hören, Schwarze hingegen verstehen die Botschaft auf Anhieb: Make America WHITE again: Amerika war ‘great’, solange die Schwarzen, nicht aufzumucken vermochten und wegen permanenter Androhung von tödlicher Gewalt hinnahmen, wo ihr Platz war: zuunterst, wo es für sie weder Recht noch Gesetz gab.
Eine nützliche – um nicht zu sagen, unerlässliche – Verschiebung des traditionellen Standpunktes historischer Betrachtung hilft zu verstehen, welch säkulare Kräfte hier am Werk sind. Im Buch ‘Caste’ (‘Kaste’) beschreibt die Journalistin und Autorin Isabel Wilkerson, wie Martin Luther King schockiert war, als er bei einem Besuch in Indien als ‘Unberührbarer’ begrüsst wurde. Die 'Unberührbaren' Indiens (Dalit) stecken am untersten Ende des indischen Kastensystems fest. Nach anfänglicher Empörung dämmerte es King, dass die Schwarzen in Amerika tatsächlich in einen vergleichbaren Status relegiert waren: 250 Jahre Sklaverei, 100 Jahre weisser Terrorismus, Apartheid und legalisierte Diskriminierung – unberührbar auf amerikanische Art.
![Die KI Gemini von Google ist erstaunlich. Ich habe dort zwei Mal ein Bild in Auftrag gegeben, das Hochhäuser auf einem Friedhof zeigen sollte, und einen funkelnden Himmel als Verheissung. New York also, die Stadt auf dem 'killing field Slavery', die nicht zuletzt dank unbezahlter Sklavenarbeit von einem Dutzend Generationen Schwarzer zu dem wurde, was wir heute bestaunen. [Image generated by AI model Gemini]](https://static.wixstatic.com/media/c0faae_3253fec427004ad1a561251ba11b93f7~mv2.jpg/v1/fill/w_147,h_147,al_c,q_80,usm_0.66_1.00_0.01,blur_2,enc_avif,quality_auto/c0faae_3253fec427004ad1a561251ba11b93f7~mv2.jpg)
Laut Wilkerson etablierten sich die frühen christlichen Kolonisatoren aus Europa sofort als obere Kaste, wo Macht, Wahrheit und Schönheit monopolisiert waren. Ureinwohner und Schwarze galten als Untermenschen. Rasse wurde dazu ‘erfunden’, um die einzelnen Menschen nach vermeintlich unanfechtbaren Kriterien in die ihnen geziemende Kategorie einzuteilen. Europäer galten als weiss, ob blonde Schweden oder braune Sizilianer. Wilkerson schreibt, Tschechen, Ungarn oder Polen seien aus Europa als Polen, Ungarn oder Tschechen abgereist, bei der Ankunft in Amerika aber augenblicklich zu Weissen mutiert.

Niemand sei weiss gewesen, ehe er oder sie nicht nach Amerika gekommen sei, zitiert sie den schwarzen Schriftsteller James Baldwin. Dies erlaubte es dem sozial Geringsten unter den Weissen, sich dem sozial Höchsten der Schwarzen überlegen und sich zu dessen Meister und Herrscher berufen zu fühlen.
Black lives matter.